Die Vermehrungsrate von Ratten ist sprichwörtlich. Und regelmäßig stoße ich vor allem in Online-Gruppen auf verzweifelte Post in denen es heißt "Hilfe, ich meine Ratte ist schwanger!", "Hilfe, ich glaube, meine Ratte bekommt Babies" oder "Oh mein Gott, meine Ratte ist tragend." Fast immer heißt es dann "Was kann ich jetzt tun?". Oft handelt es sich um Tiere, die entweder schon tragend bei einem unaufmerksamen Züchter oder Zooladen erworben wurden oder um Fälle, in denen ein Männchen fälschlicherweise als Weibchen mit einer Gruppe echter Weibchen verkauft wurde.
Um es klar zu sagen: Die Aufzucht von Jungtieren kann völlig reibungslos verlaufen, sie kann aber auch zu einer großen Herausforderung werden. An dieser Stelle habe ich die wichtigsten Informationen relativ knapp zusammen getragen, so dass sich betroffene Rattenbesitzer einen ersten Überblick verschaffen können.
Bei diesem Beitrag handelt es sich definitiv nicht um eine Anleitung zum Zuchteinstieg, da zur Zucht von Farbratten noch viel mehr gehört, als hier zusammengefasst ist.
Schritt 1: Lage Checken
Zunächst einmal sollte überprüft werden, ob die Ratte tatsächlich schwanger ist. Der Bauch von tragenden Ratten sieht aus wie eine Birne, wenn man sie auf die Hinterbeine hebt. Ab einer gewissen Tragzeit fühlt sich der Bauch fester an, innere Orange lassen sich nicht mehr differenziert ertasten. Manchmal fühlt man die einzelnen Babies. Ca. 24 Stunden vor der Geburt sind dann auch die Bewegungen der Babies zu spüren.
Im Zweifelsfall sollte unbedingt ein Tierarzt aufgesucht werden, der z.B. mit einem Ultraschall feststellen kann, ob tatsächlich eine Schwangerschaft vorliegt.
Schritt 2: Die Vorbereitung
Einige Tage vor der Geburt beginnt die Mutterratte in der Regel mit dem Nestbau. Es gibt unterschiedliche Auffassungen dazu, ob man die werdende Mutter von ihrem Rudel trennen sollte. Da weibliche Ratten sich auch in der Natur zurück ziehen, wenn sie Babies bekommen, trenne ich meine Weibchen immer einige Tage vor dem Geburtstermin, spätestens aber, wenn ich Bewegungen fühle, vom Rudel. Oft sind die werdenden Mütter nämlich von anderen Rudelmitgliedern gestresst, die den Nestbau stören. Es kommt auch vor, dass andere Ratten die Babies versuchen zu "stehlen", was ebenfalls viel Stress für die Mutter bedeutet. Die Unruhe führt dann manchmal dazu, dass Rattenmütter immer wieder umziehen - wobei auch schon einmal ein Baby verloren gehen kann. O. Schleif kommt in seiner Dissertation auch zu dem Schluss, dass andere Ratten für Rattensäuglinge eine Gefahr darstellen (S. 100). Da die Mütter anfangs auch 85% ihrer Zeit im Nest mit den Babies verbringen, ist mir wichtig, dass sie in dieser Zeit ihre Ruhe haben. Dafür bekommen sie täglich ca. 1 Stunde gemeinsamen Auslauf mit ihren Rudelmitgliedern.
Der Wurfkäfig sollte nur eine Ebene umfassen, damit die Kleinen später, wenn sie anfangen herumzukrabeln, nicht abstürzen können. Darüber hinaus dürfen die Gitterstäbe keinen zu großen Abstand haben, damit keine Babies hindurch gelangen können. Teilweise umwickeln Züchter Käfige mit zu großem Gitterabstand mit feinmaschigem Kaninchendraht. Dies birgt aber die Gefahr, dass sich Tiere zischen die Gitterstäbe und den Draht quetschen und nicht mehr herauskommen. Der Käfig sollte an einem ruhigen Ort stehen und möglichst so zugedeckt werden, dass nur noch die Vorderseite offen ist. Ich stelle meinen werdenden Mamas immer zwei Häuschen für den Nestbau zur Verfügung. Ich verwende dafür Plastikhäuschen mit Boden, bei denen man das Oberteil abnehmen kann, da man so bei der Nestkontrolle das gesamte Haus entnehmen kann. Wichtig ist, dass genügend Belüftung vorhanden ist, dass Babyratten relativ viel Feuchtigkeit produzieren können. Dazu bekommt die Mama natürlich Nistmaterial. Ich habe viel herumexperimentiert und verwende zur Zeit Carefresh und Alphadri. Ich habe lange Safebed Papierwolle benutzt, allerdings bindet diese nur sehr schlecht Ammoniak. Auf gar keinen Fall darf Heu oder Stroh verwendet werden, das es oft zu staubig ist. Auch Baumwolleinstreu kann zu Problemen führen, da die Tiere diese einatmen und daran ersticken können. Ebenso ist von Hamsterwatte oder Kapok abzuraten, da dieses an den Babies festkleben bzw. verschluckt werden kann.
Schritt 3: Die Geburt
Nach ca. 20-24 Tagen Tragzeit werden die Rattenbabies geboren. Im Durchschnitt sind es 7-14 Jungtiere (nach Schleif, O. 2001), aber auch kleine Würfe mit weniger Tieren oder auch große Würfe mit über 20 Tieren kommen vor. Das Geburtsgewicht beträgt 4,5 - 6 g (nach Schleif, O. 2001) In der Regel verläuft die Geburt relativ schnell, die Jungtiere werden im Abstand von 5 - 10 Minuten geboren - meistens nach 1 bis 2 Stunden alles vorbei. Die Babies machen sich dann schon durch Piepsen bemerkbar. Die Mamma sollte sie selbständig abnabeln und die Nachgeburt auffressen.
Dazu, wann man die erste Kontrolle machen sollte, gibt es wieder unterschiedliche Angaben. Einige sagen, dass man auf gar keinen Fall innerhalb der ersten Tage ins Nest fassen darf. Ich selbst mache - wie die meisten mir bekannten Züchter - bereits nach einigen Stunden einen ersten Schnellcheck, um zu sehen, ob alle Babies gesund sind und die Nachgeburt gefressen wurde. Außerdem schaue ich, ob alle Babies gefüllte Bäuche haben. Die sogenannten Milchbänder (siehe unten) zeichnen sich als deutliche helle Stellen unter der Haut am Bauch ab. Zudem sollte man die Mama abtasten um sicher zu gehen, dass kein Baby im Mutterleib verblieben ist. Sollte dies der Fall sein, muss unverzüglich ein Tierarzt aufgesucht werden, da es zu lebensbedrohlichen Vergiftungen kommen kann. Am besten sollte man sich schon frühzeitig darum kümmern, welche Tierärzte Bereitschaftsdienst haben.
Nach der Geburt entferne ich das zweite Häuschen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Mütter ansonsten gerne mal zwischen den Häusern hin und her ziehen, was immer das Risiko mit sich bringt, dass ein Baby unterwegs verloren wird.
Im optimalen Fall bringt die Mama die Babies alle im Nest zur Welt. Junge und unerfahrene Mütter verteilen die Kleinen aber unter Umständen auch im ganzen Käfig. in dem Fall sollte man die Babies vorsichtig zumindest auf einen Haufen legen, so dass die Mutter sie alle gleichzeitig säugen und warm halten kann. Die Kleinen sind so kurz nach der Geburt nämlich noch nicht eigenständig in der Lage, ihre Körpertemperatur zu halten.
Hilfe! Wenn alles schief geht...
Es gibt leider ein paar Dinge, die passieren können, die weniger schön sind.
Unter Umständen nimmt die Mutter die Babies nicht an. Das erkennt man daran, dass ihre Bäuche nicht mit Milch gefüllt sind (siehe Bild oben). In dem Fall sollte man sich schnellstmöglich eine Amme suchen und muss unter Umständen dann, wenn man die Babies retten will, eine Handaufzucht versuchen.
Dann kann es sein, dass ein oder mehrer Babies versterben. Die Ursachen können vielfältig sein, z.B. kann die Mutterratte überfordert gewesen sein oder das Baby hatte einen Defekt.
Manchmal passiert es auch, dass Rattenmütter einzelne Babies oder sogar ganze Würfe auffressen. In der Natur ist das ein durchaus sinnvolles Verhalten. Wenn ein Baby z.B. krank ist, wird die Ansteckungsgefahr für die Geschwister reduziert, wenn die Mutter sie aus dem Nest verstößt oder tötet und auffrisst. Auch bei einem Baby mit genetischen Defekten oder Gedeihstörungen (Failure to thrive) ist es sinnvoll, wenn die Mutter sie frühzeitig tötet, damit Babies, die wahrscheinlich ohne hin nicht lange überleben würden, ihren Geschwistern keine Nahrung mehr "weg nehmen". Wenn eine Rattenmutter sehr unter Stress ist und mit dem Wurf überfordert ist, kann es auch passieren, dass sie die Babies tötet. So muss sie keine weiteren Ressourcen in einen Wurf stecken muss, den sie wahrscheinlich ohnehin nicht großziehen kann. Selbstverständlich stellt eine Rattenmutter keine Überlegungen dazu an, welches Verhalten gerade sinnvoll ist oder nicht - vielmehr hat die Evolution Verhaltensweisen entstehen lassen, die sich positiv auf die Gesamtpopulation auswirken.
Schritt 4: Die Aufzucht
Rattensäuglinge werden komplett haarlos und blind mit einer hellrosa, zarten und fast transparenten Haut geboren. Während der ersten Lebenstage sind sie als Nesthocker komplett abhängig von der Fürsorge der Mutter. Neben dem Säugen, dem Reinigen des Nestes und der Jungen sowie dem Massieren der Bäuche und dem Lecken der Anogenitalregionen ist in dieser Zeit die Aufrechterhaltung der Temperatur im Nestbereich von entscheidender Bedeutung, da Ratten bei der Geburt nicht in der Lage sind, ihre Temperatur selbstständig zu regulieren. Rattenmütter verbringen anfangs ca. 85% ihrer Zeit bei den Babies. Es ist völlig normal, dass sie ab und zu auch außerhalb des Nestes ruhen. Innerhalb weniger Tage kann man bei dunkel gezeichneten Tieren schon erste Abzeichen erkennen. Ab ca. dem 10. Tag sind Farben gut zu unterscheiden. Die Tiere öffnen etwa ab dem 14. Tag die Augen und werden zunehmend rege. Ungefähr ab dem 18. Tag können sie ihre Körpertemperatur selbst regulieren und verlassen das Nest. Jetzt lässt auch das Nestbauverhalten der Mutter nach. Ab der vierten Woche verbringen dann die Babies die meiste Zeit unabhängig von der Mutter. Sie nehmen in etwa gleichem Anteil Muttermilch und feste Nahrung zu sich. Etwas ab dem 34. Tag wird dann das Säugen eingestellt, die Babies können sich jetzt eigenständig ernähren.
In der Beitragserie "Entwicklung der Ratte" findet Ihr eine tageweise Darstellung der Entwicklung.
ACHTUNG
Die männlichen Jungtiere müssen unbedingt spätestens am 32. Tag von der Mutter und den Schwestern getrennt werden, da zu dem Zeitpunkt bereits die Zeugungsfähigkeit einsetzen kann.Schritt 5: Der Abschied
Die meisten Züchter geben ihre Jungtiere im Alter von 6 Wochen und einem Mindestgewicht von 100 g mindestens zu zweit, wenn bereits ein Rudel besteht, oder zu Dritt bei Neugründung eines Rudels, ab. Wir behalten unsere Jungtiere sogar bis zur Vollendung der 8. Woche bei uns, da in der Zeit von der 6. - 8. Woche noch wichtige Sozialisationschritte stattfinden. Mehr Informationen dazu findet Ihr im Artikel "Die Bedeutung des Spiels für die Entwicklung von Ratten"
Ihr solltet Euch rechtzeitig darum kümmern, ein geeignetes Zuhause für Euren Rattenachwuchs zu finden. Dazu könnt Ihr z.B. Facebookgruppen nutzen, allerdings kann es passieren, dass Personen mit "ups-Würfen" ziemlich kritisiert werden. Zudem widerspricht der Verkauf von Tieren den Facebook-Richtlinien. Eine weitere Möglichkeit sind Kleinanzeigenmärkte wie Ebay Kleinanzeigen oder Deine Tierwelt.
Dabei solltet Ihr bei der Vermittlung der Tiere unbedingt darauf achten, dass sie in ein artgerechtes Zuhause kommen. Am besten schließt Ihr einen Schutz- und Abgabevertrag ab.
Ernährung während Tragzeit und Aufzucht
Während der Tragzeit und Aufzucht brauchen Weibchen ein etwas proteinreicheres Futter. Während der Anteil an hochverfügbaren Proteinen ansonsten bei 5% liegen sollte, benötigen tragende und säugende Weibchen einen Anteil von 15% (National Research Council ((National Research Council (US) Subcommittee on Laboratory Animal Nutrition. Washington (DC): National Academies Press (US); 1995.))). Die zusätzlichen Proteine kann man z.B. durch Gabe von Mehlwürmern oder etwas Ei zufüttern. Gut geeignet ist auch die Insect Patee Premium von Versele Laga. Nach der Geburt füttere ich meinen Müttern zusätzlich zum normalen Körnerfutter eine Mischung aus Aufzuchtmilch (siehe "Handaufzucht von Ratten - die richtige Milch") und Babybrei (z.B. Hipp Bio Getreidebrei 5-Korn). Diese Mischung ist auch optimal als erste Nahrung für die Babies.