Das Spiel hat wichtige Funktionen hinsichtlich der Entwicklung von Ratten. Daher sollte man beider Vermittlung von Jungtieren die Dauer der Phase gesteigerter Spielaktivität unbedingt berücksichtigen.
Die Entwicklung des Spielverhaltens
Ab einem Alter von ca. 21 Tagen beginnen junge Ratten zu spielen. Zunächst sind es Spielkämpfe, die spontan zwischen Tieren stattfinden, die sich in der Nähe befinden. Erst ab dem 26 Tag fangen Ratten an, potentielle Spielpartner gezielt anzuspringen (Pouncing), um sie zum Spielen aufzufordern. Dabei zeigen männliche Tiere eine höhere Spielfrequenz und bevorzugen zunächst gleichgeschlechtliche Spielpartner. Im Alter von 36-40 Tagen ändert sich das: Mit dem Einsetzen des sexuellen Interesses an Weibchen fordern sie jetzt bevorzugt weibliche Jungtiere zum Spielen auf. Im Zeitraum um den 41.-45. Tag zeigen auch die Weibchen ein stärker werdendes Interesse an Sexualkontakten. Sie beginnen, den Rücken durchzustrecken (Lordose), wenn ein Männchen sie - zunächst spielerisch - von hinten besteigt. Nach dem 45. Tag verlieren die Männchen wieder das Interesse an Weibchen als Spielpartner und springen wieder vermehrt andere Männchen als Spielaufforderung an. Allerdings ändert sich der Charakter diese Spiele. In zunehmendem Maß spielt jetzt schon das aushandeln von Dominanzverhältnissen eine Rolle. Im Alter von 51-55 Tagen geht die Frequenz von Spielverhalten dann deutlich zurück, während sich nach und nach erwachsenes Verhalten (vor allem in Bezug auf Sexualverhalten) durchsetzt. (siehe hierzu Meany, M. J. & Stewart, J. (1981))
Warum spielen Ratten?
Zahlreiche sogenannte Deprivationsstudien, in denen Rattenjungtiere mehr oder weniger der soziale Kontakt entzogen wurde, belegen die große Bedeutung der Altersphase vom 21.-55. Tag für die Entwicklung von normalem erwachsenem Verhalten. Isolation in dieser Phase hat negative Auswirkungen auf das Paarungsverhalten, agonistisches Verhalten (d.h. auf Auseinandersetzungen/Kämpfe bezogenes Verhalten) und afilliatives Verhalten (d.h. Verhalten, das den Gruppenzusammenhalt stärkt (Meany, M. J. & Stewart, J. (1981)). Ratten, die keine Möglichkeit hatten, als Jungtiere mit Gleichaltrigen zu spielen, zeigen langfristig kognitive, verhaltensmäßige und sozioemotionale Defizite. Diese Ratten reagieren in sozialen Situationen über, sind übermäßig defensiv und lassen Konflikte eher eskalieren. Sie zeigen weniger Unterwerfungsverhalten gegenüber dominanten Männchen und ziehen mehr aggressive Attacken auf sich (Pellis, S. M., Pellis, V. C. & Bell, H. C., 2010) Van den Berg, van Ree & Spruijt fanden 2004 in einer Studie, dass das Alter von 4 - 5 Wochen eine sensible Phase hinsichtlich der Entwicklung des Sozialverhaltens von Ratten darstellt. Das ist auch der Zeitraum, in die Häufigkeit von Spielkämpfen ihren Höhepunkt hat (Pellis, S. M., Pellis, V. C. & Bell, H. C., 2010)Auch bei Wildratten konnte beobachtet werden, dass die Jungtiere im alter von 36-56 Tagen zwar bereits ausgedehnte Erkundungstouren unternahmen, aber den Kontakt zur Mutter und ihren Geschwistern noch als sicheren Zufluchtsort bewahrten (Calhoun 1962).
Im Spiel trainieren Ratten die Fähigkeit, flexibel auf unvorhersehbare Ereignisse zu reagieren. Ratten, die als Jungtiere nicht mit Altersgenossen spielen konnten, zeigen verstärkte Angstreaktionen (Pellis, S. M., Pellis, V. C. & Bell, H. C., 2010). Eine weitere wichtige Funktion des Spielverhaltens ist das Training der motorischen Funktionen. Zum einen hat Spielen einen Effekt auf die Muskeln, zum anderen hat es wichtige Auswirkung auf die Entwicklung von Hirnstrukturen im Kleinhirn sowie die Motoneurone. Während die Vernetzung von Hirnzellen anfangs stark zunimmt, kommt es in der Pubertät (im übrigen auch bei Menschen) zum Abbau nicht benötigter Verbindungen. Dieser Abbauprozess fällt direkt mit dem Höhepunkt des Spielverhaltens zusammen.
Fazit
Was bedeutet dies nun für das Vermittlungsalter von Jungtieren? Die bedeutende Phase intensivsten Spielens findet bei jungen Ratten im Alter von 4-5 Wochen statt. Das ist genau das Alter, in dem männliche Jungtiere von ihren Müttern und Schwestern getrennt werden müssen. Umso wichtiger ist es, den Tieren in diesem Alter zumindest noch den Kontakt zu gleichaltrigen männlichen Ratten zu ermöglichen, mit denen sie spielen können. Die Spielhäufigkeit nimmt dann sukzessive bis zum Alter von ca. 56 Tagen (8 Wochen) ab. Danach ist die Phase juveniler ("jugendlicher") Spieltätigkeit abgeschlossen und die Weichen für ein gesundes Verhalten als erwachsenes Tier sind gestellt. Viele Rattenzüchter vermitteln ihre Tiere genau in der sensiblen Phase im Alter von 5-6 Wochen. Für eine gesunde Entwicklung sollten die Jungiere allerdings bis zur 8. Woche im Geschwisterverband (mind. 3 Tiere) verbleiben. Ist dies nicht möglich - zum Beispiel weil ein Wurf nur zwei Männchen hervorgebracht hat - sollten Partner aus einem anderen Wurf im ähnlichen Alter dazu gesellt werden.
Literatur
Calhoun, J. B. 1962. The Ecology and Sociology of the Norway Rat. Bethesda, Maryland: U.S. Department of Health, Education, and Welfare-Public Health Service.
Meany, M. J. & Stewart, J. (1981), A Descriptive Study of Social Development in the Rat (Rattus Norvegicus), Anita. Behav., 1981, 29, 34--45
Pellis, S. M., Pellis, V. C. & Bell, H. C. (2010). The Function of Play in the Development of the Social Brain. Board of Trustees of the University of Illinois.
Van den Berg, C., van Ree, J. & Spruijt, B. (2004). Play deprivation decreases adult social behavior. Noldus Information Technology.